Gustave Caillebotte
Paar beim Spaziergang, 1881
Aktuell ausgestellt im Musée d'Orsay, Paris
7 weitere Werke von Caillebotte
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Öl auf Leinwand, 100,2 x 125,3 cm
Signiert und datiert unten links: G Caillebotte 1881
Inv.-Nr. MB-Cai-03
In den 1860er Jahren waren die Badeorte der Normandie zur beliebten Sommerfrische des Pariser Bürgertums geworden. Hier flaniert ein junges Paar, wohl der Künstler und seine Partnerin Charlotte Berthier, entlang der luxuriösen Villa italienne in Trouville. Der rote Sonnenschirm setzt einen Akzent in dem von frischen Grüntönen dominierten Bild. Die Rückenansicht der Figuren ermöglicht die Identifikation des Betrachters, der sich selbst in die Rolle des Urlaubers versetzen kann.
Zwischen 1880 und 1884 verbrachte Gustave Caillebotte jeden Sommer mehrere Wochen in der Normandie, um an Segelregatten teilzunehmen und zu malen. In dieser Zeit entstanden etwa 50 Gemälde, die der Umgebung von Trouville gewidmet sind – einem Strandbad, das sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts zum beliebten Ausflugsziel des Pariser Großbürgertums entwickelt hatte. Während sich seine älteren Malerkollegen Eugène Boudin und Claude Monet in ihren Ansichten Trouvilles mit der Strandpromenade auseinandergesetzt hatten, lag Caillebottes Fokus auf der Landschaft landeinwärts. Paar beim Spaziergang entstand 1881 und zeigt zwei modisch gekleidete Spaziergänger in Rückenansicht. Die Komposition stellt ein Übergangswerk zwischen Caillebottes Pariser Stadtansichten der 1870er Jahre und den Landschaften dar, die er nach seinem Umzug 1881 in das Seine-Dörfchen Le Petit-Gennevilliers malte.
Die starke Raumflucht, die durch die diagonale Ausrichtung der Villenfront links und der Dreieckskomposition des sonnenbefleckten Pfads entsteht, entspricht den animierten Blickachsen, die Caillebotte bereits in seinen Stadtbildern entwickelt hatte. Auch die ungewöhnliche Perspektive, bei der der Weg wie hochgeklappt wirkt, war zu Anfang der 1880er Jahre zum Markenzeichen des Künstlers geworden. Stilistisch zeigt das Bild mit seiner lockeren Pinselführung und dem Fokus auf Momenthaftigkeit eine stärkere Anlehnung an die Landschaftsbilder Monets, Pierre-Auguste Renoirs und Alfred Sisleys, die für Caillebottes weiteren Werdegang entscheidend sein sollten. Die in sanften Rottönen gestaltete Hausfront der Villa italienne und der modische scharlachfarbene Sonnenschirm rechts setzen kräftige Akzente in der ansonsten von frischen Grüntönen dominierten Komposition.
Die Identität des Paares, das in respektvollem Abstand zueinander flaniert, ist nicht geklärt. Bei dem jungen Mann in typischer Ruderkleidung mit Strohhut könnte es sich um ein Selbstportrait Caillebottes handeln oder um eine Darstellung seines Bruders Martial, mit dem er für gewöhnlich die Sommerurlaube in der Nähe von Trouville verbrachte. Seine Begleiterin könnte Caillebottes langjährige Partnerin Charlotte Berthier sein. Die Darstellung in Rückenansicht und das unklare Verhältnis zwischen den beiden Protagonisten verleihen der Komposition eine psychologische Spannung, die auch vielen von Caillebottes Interieurs zugrunde liegt. Als er das Gemälde 1882 auf der siebten Impressionisten-Ausstellung in Paris einreichte, erregte es aufgrund seiner freien stilistischen Umsetzung und seiner beträchtlichen Maße große Aufmerksamkeit.
In dem von Marie Berhaut erstellten Catalogue raisonné zu Caillebottes Gemälden ist Paar beim Spaziergang mit der Werkverzeichnis-Nummer 158 versehen.
Daniel Zamani
7me Exposition des Artistes Indépendants, Salons du Panorama de Reichshoffen, Paris, (wohl 1.–31.3.) 1882, Nr. 3
Gustave Caillebotte. Urban Impressionist, Galeries Nationales du Grand Palais, Paris, 12.9.1994–9.1.1995; The Art Institute of Chicago, 15.2.–28.5.1995, Nr. 89 (Paris), 98 (Chicago)
Impressionismus. Die Sammlung Hasso Plattner, Museum Barberini, Potsdam, vom 5.9.2020 an
1930, Jeanne
Schultz, Paris
o.D., Privatsammlung,
Frankreich, erworben im Erbgang von o.g.
4.11.2003,
Christie’s, New York, Los 15, eingeliefert von o.g.
Privatsammlung,
London, erworben auf o.g. Auktion
27.2.2019,
Christie’s, London, Los 28, eingeliefert von o.g.
R.J. Draner: Une visite aux impressionnistes, in: Le Charivari (9.3.1882), Abb. o. S. (Skizze abgebildet)
V.G. Fichtre: L'actualité. L'exposition des peintres indépendants, in: Le Réveil (2.3.1882)
H. Robert: Chronique parisienne. Le Salon des impressionnistes, in: La Petite Presse (5.3.1882), S. 1
J. de Biez: Les petits salons. Les indépendants (8.3.1882)
Paul de Charry: Beaux-Arts, in: Le Pays (10.3.1882)
Marie Berhaut: Gustave Caillebotte. Catalogue raisonné des peintures et pastels, Paris 1994, Nr. 158, Abb. S. 136
Ruth Berson: The New Painting. Impressionism 1874–1886. Documentation, Bd. 2, San Francisco/Seattle 1996, Nr. VII-3, S. 201
Gustave Caillebotte. The Unknown Impressionist, Ausst.-Kat. Royal Academy of Arts, London 1996, Abb. S. 164
Jacques-Sylvain Klein: Lumières normandes. Les hauts lieux de l'Impressionisme, Rouen 2013, Abb. S. 194 (La rue montante)
Michael Marrinan: Gustave Caillebotte. Painting the Paris of Naturalism, 1872–1887, Los Angeles 2016, S. 327–329, Abb. S. 327
Impressionismus. Die Sammlung Hasso Plattner, Ausst.-Kat. Museum Barberini, Potsdam 2020, S. 47, 149, 264, Abb. S. 46, 264
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