Gustave Caillebotte
Rue Halévy, Blick von einem Balkon, 1877
Aktuell ausgestellt im Alte Nationalgalerie, Berlin
7 weitere Werke von Caillebotte
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Öl auf Leinwand, 54 x 65,5 cm
Signiert und datiert unten links: G. Caillebotte 77
Inv.-Nr. MB-Cai-01
In drei Gemälden nahm Gustave Caillebotte die imposanten Wohnhäuser rund um die Pariser Oper in den Blick. Aus dieser Perspektive verstellen die Balkonpflanzen den freien Ausblick und nötigen den Betrachter, seinen Blick zu schärfen. Das kalte, dunstige Morgenlicht verbindet sich mit dem Silbergrau der Zinkdächer zu einer Symphonie in Blauviolett.
Während des sogenannten Second Empire (1852–1870), der Regierungszeit Napoleons III., erlebte Paris eine Phase tiefgreifender Veränderungen. Unter der Leitung von Baron Georges-Eugène Haussmann, dem Präfekten des Departements Seine, wurde der alte, aus engen mittelalterlichen Gassen bestehende Stadtkern von einem Netz breiter Boulevards und Alleen ersetzt. Durch die aufwendige Anlage zahlreicher neuer Plätze, Gärten und Parks hielten Luft und Licht Einzug in die Metropole. Diese Großzügigkeit bot allerorts Raum für Freizeitaktivitäten und Erholung. Unzählige Bars und Cafés, Theater und Kaufhäuser verliehen der modernisierten Hauptstadt eine Opulenz, die auch im einheitlichen Straßenbild sowie den aufwendig restaurierten historischen Denkmälern zum Ausdruck kam. Um 1870 galt Paris als die fortschrittlichste Metropole der Welt und das Zentrum der modernen Malerei.
Wie zahlreiche seiner Kollegen war Gustave Caillebotte fasziniert von den Folgen der „Haussmannisierung“, die er in zahlreichen Kompositionen dokumentierte. Auf Einladung der Malerkollegen Henri Rouart und Pierre-Auguste Renoir hatte er sich 1876 mit seiner Teilnahme an der zweiten Impressionisten-Ausstellung jener Bewegung angeschlossen, die Anfang der 1860er Jahre im Umkreis Claude Monets herangereift war. Ein Jahr darauf machte er mit seinem großformatigen Hauptwerk Pariser Straße, Regentag (1877, The Art Institute of Chicago) – einer photorealistisch anmutenden, monumentalen Ansicht des neuen Paris – auf sich aufmerksam. Hatte er dort den Standpunkt eines Passanten auf der Straße eingenommen, so gehört das im gleichen Jahr entstandene Bild Rue Halévy, Blick von einem Balkon zu einer Reihe von Arbeiten, in der er das Pariser Stadtzentrum von einem weit erhöhten Standort aus in den Blick nahm. Für die Komposition stellte Caillebotte seine Staffelei im obersten Stock eines Gebäudes in der Rue La Fayette auf, mit Blick auf die von Charles Garnier erbaute Oper, die in der oberen Bildhälfte an der Ausschmückung mit einer goldenen Figurengruppe zu erkennen ist. Im Vordergrund dienen die üppig grünen Zweige der Balkonpflanzen als Repoussoir und bilden einen markanten Kontrast zu dem violettfarbenen Dunstschleier, in den die imposanten Gebäude entlang der Boulevards gehüllt sind. In den Häusern im Vordergrund ist die für Haussmann typische, symmetrische Gestaltung der cremefarbenen Sandsteinfassaden erfasst, während die weiteren Gebäude zu einer nahezu flächigen Einheit verschmelzen – ein Effekt, der auf den Einfluss japanischer Farbholzschnitte verweist. Anders als in Pariser Straße, Regentag gibt es hier keine anekdotischen Details. Caillebotte vermied jegliches narrative Element zugunsten einer atmosphärischen Darstellung kulissenhaften Charakters. Während sich der Künstler auch nach seinem Anschluss an die Impressionisten 1876 noch häufig einer akademischen Bildgestaltung bediente, verweisen die lose Pinselführung und die abstrakte Malweise hier auf das Vorbild Monets.
In dem von Marie Berhaut erstellten Catalogue raisonné zu Caillebottes Gemälden ist das Bild Rue Halévy, Blick von einem Balkon nicht aufgeführt. Trotz der Signatur und Datierung könnte es sich bei dem Werk um eine Studie gehandelt haben. Das Gemälde steht in unmittelbarem Zusammenhang mit zwei weiteren Stadtansichten, die von den gleichen Räumlichkeiten aus gemalt wurden und mit den Werkverzeichnis-Nummern 99 und 100 versehen sind. Die Authentizität dieses Gemäldes ist vom Comité Caillebotte bestätigt worden.
Gustave Caillebotte. The Painter's Eye, National Gallery of Art, Washington, 28.6.–4.10.2015; Kimbell Art Museum, Fort Worth, 8.11.2015–14.2.2016
Impressionismus. Die Sammlung Hasso Plattner, Museum Barberini, Potsdam, vom 5.9.2020 an
o.D.,
Alfred Henri Bramtot
1894, Henri Poterin du Motel
1934, Solange Poterin du
Motel, Paris, erworben im Erbgang von o.g.
1977, Paul Cosnard, Paris
1986, Privatsammlung, Paris,
erworben im Erbgang von o.g.
Gustave Caillebotte. The Painter's Eye, Ausst.-Kat. National Gallery of Art, Washington 2015, Nr. 10, S. 277, Abb. S. 146
Impressionismus. Die Sammlung Hasso Plattner, Ausst.-Kat. Museum Barberini, Potsdam 2020, S. 96 f., 264, Abb. S. 98, 264
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